Expressionismus | 1910 - 1925 | Literaturepoche

Die Epoche des Expressionismus definiert eine sowohl literarische als auch künstlerische und musikalische Bewegung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzte und bis etwa 1925 dauerte. Ausgehend von den sozialen Missständen in den deutschen Großstädten und den politischen Umbrüchen jener Zeit, entwickelten die jungen Schriftsteller eine radikale, ausdrucksstarke und von dem intensiven Gebrauch von Worthäufungen und Metaphern gekennzeichnete Sprache, die sich vorrangig mit den Themen Krieg, Apokalypse und der Angst vor dem Identitätsverlust auseinandersetzte. Auch die Motive des gesellschaftlichen, psychischen und körperlichen Verfalls wurden von den expressionistischen Literaten aufgegriffen und in vorrangig lyrischen Arbeiten behandelt. Der im Jahr 1911 von dem Schriftsteller Kurt Hiller geprägte Begriff Expressionismus leitet sich von dem lateinischen Wort „expressio“ ab, was übersetzt „Ausdruck“ bedeutet. Die Expressionisten bemühten sich, mit neu definierten sprachlichen Stilmitteln die subjektiven Empfindungen und seelischen Leiden der Menschen zu ergründen und diese in einer stark emotionalen und irrealen Bildhaftigkeit auszudrücken. Gleichzeitig stellten sich die Literaten dieser Stilrichtung gegen die im Naturalismus vorherrschende kalte und kunstlose Darstellungsweise. Ab dem Jahr 1910 veröffentlichten junge Schriftsteller in expressionistischen Zeitschriften wie „Der Sturm“, „Die Revolution“ oder „Die Aktion“ ihre kritischen Gedichte, in denen sie die vorherrschenden Strukturen und ästhetischen Vorstellungen des Bürgertums mit einer expliziten Darstellung des Negativen und Hässlichen angriffen und verwarfen.

Historischer Kontext der Literaturepoche des Expressionismus
Die zunehmende Verstädterung des ausgehenden 19. Jahrhunderts brachte ein stetig wachsendes Leid der Menschen mit sich, die in der Anonymität der Metropolen in teils unwürdigen Bedingungen hausen mussten und durch die Industrialisierung als billige Arbeitskräfte ausgebeutet wurden. Die industrielle Revolution und damit einhergehend die Erfindung neuer technischer Errungenschaften gipfelte in einer Auseinandersetzung zwischen Mensch und Maschine. Das allgemeine Misstrauen in der Bevölkerung wuchs.
Zusätzlich schürte die politische Ausgrenzung des deutschen Kaiserreichs reichlich die Angst der Bevölkerung, ehe die Konflikte 1914 tatsächlich im Ersten Weltkrieg gipfelten. Die vorherrschende pessimistisch-politische und soziale Stimmung wurde zum zentralen Thema der Expressionisten. Sahen die expressionistischen Künstler vor Beginn des Ersten Weltkriegs in den politischen Entwicklungen noch eine Chance auf Erneuerung und Erlösung von den alten Werten, brachte ihnen die Desillusionierung durch die Realität der Ereignisse auf den Schlachtfeldern bald eine pazifistische und anarchistische Haltung, die in ihren literarischen Werken Ausdruck fanden. Vor Ausbruch des Krieges gab es sogar zahlreiche Befürworter für eine militärische Intervention. Spätestens mit den aufreibenden Stellungskriegen gegen Frankreich und den Schlachten im russischen Winter an der Ostfront, kam es auch bei den zuvor noch euphorisierten Soldaten zu einem radikalen Umdenken. Viele Künstler und Literaten des Expressionismus verloren im Ersten Weltkrieg ihr Leben, darunter auch Franz Marc und August Macke.

Stilelemente und Themen des Expressionismus
Das soziale und politische Chaos, das die Zeit von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs mit sich brachte, resultierte in einem geistigen und moralischen Verfall, den die radikalen jungen Künstler aufgriffen und in stark emotionalen Schilderungen irrealer Situationen, Albtraumsequenzen und Katastrophenszenen verdeutlichten. Um diese Stimmung herzustellen, bedienten sich die Expressionisten einer betont metaphorischen und rhythmischen Sprache. Dabei ging es den Schriftstellern des Expressionismus weniger um die Verwirklichung bestimmter Ziele. Man suchte in der Literatur mehr nach Worten für jene Missstände aus Gesellschaft, Politik und Stadtleben.
Um die apokalyptische Stimmung ihrer Zeit zu vermitteln, griffen die Expressionisten vorrangig die Themen Krankheit, Deformation, Selbstmord und Tod auf und verarbeiteten sie in lyrischen Arbeiten. Das Innenleben der menschlichen Seele drückten die Expressionisten auch in Werken aus, deren zentrale Motive Wahnsinn, Triebhaftigkeit und Liebe darstellten. Die weit verbreitete Angst der Bevölkerung schlug sich in Personifikation von Naturgewalten, sowie ungewöhnlichen und bedrohlich wirkenden Metaphern, nieder.
Verwerfung herkömmlicher Regeln der Grammatik, eine grotesk-unlogische Satzgestaltung, Neologismen und Worthäufungen ersetzten eine zuvor fast 'brave' Sprache, wie sie noch im Realismus oder Naturalismus üblich war. Die expressionistischen Dichter widersetzten sich den Kriterien für die formale Gestaltung von Texten und schufen auf diese Weise gänzlich neue Gedichtstrukturen und Reimformen.
Ein ebenso wichtiges Stilelement der expressionistischen Sprache ist das Fehlen verbindener Elemente einzelner Verse, wodurch die Gedichte keinen übergeordneten Sinn erhalten, sondern jede Zeile ein eigenes, in sich isoliertes Bild beschreibt. Das eigentliche Thema des Textes ergibt sich in der expressionistischen Lyrik oft nur durch den Titel, der für eine Gesamtaussage der einzelnen bruchstückhaften Inhalte steht. Das psychische Erleben der äußeren Umstände wird in ekstatischen Bildern, Traumvorstellungen und albtraumhaften Visionen literarisch dargestellt.

Bedeutende Werke und Vertreter des Expressionismus
Der literarische Expressionismus manifestierte sich zunächst ausschließlich in lyrischen Werken. Viele Schriftsteller dieser Epoche sind heute in Vergessenheit geraten, einige zählen jedoch zu den bedeutendsten Literaten des 20. Jahrhunderts. Als erstes Paradebeispiel der expressionistischen Lyrik, sowohl was die Sprache als auch die Thematik anbelangt, gilt das Gedicht „Weltende“, das der junge Dichter Jakob van Hoddis im Jahr 1911 veröffentlichte. „Weltende“ thematisiert in zusammenhanglosen Schilderungen der Apokalypse und Katastrophenszenarien, die Angst vor dem Verfall des deutschen Kaiserreichs. Der Untergang der Monarchie wird in „Weltende“ dem technischen Fortschritt gleichgesetzt, den van Hoddis in der Darstellung der durch die Meeresflut entgleisenden Eisenbahn beschreibt.
Dagegen formulierte der Militärarzt Gottfried Benn das moralische Chaos seiner Zeit und die Realität des Ersten Weltkriegs, in seinen Gedichten überwiegend in detaillierten Darstellungen von Krankheiten und körperlichem Verfall. Den Sammlungen seiner Arbeiten gab der Schriftseller morbide Titel wie „Fleisch“, „Gehirne“ oder „Morgue“. Auch der bedeutende expressionistische Dichter Georg Trakl setzte sich in seinen Gedichten intensiv mit den Themen Untergang und Verfall auseinander und stellte diese vorrangig mit den Motiven Herbst, Winter, Kälte, zitternde Natur und vergebliche Suche nach moralischen Werten dar. Zu den führenden Dichtern des Expressionismus zählen neben Benn, Trakl und van Hoddis auch Georg Heym, Paul Boldt, Else Lasker-Schüler, August Stramm und Paul Zech.
Die explizit antibürgerlichen und gesellschaftskritischen Ansichten der Expressionisten zeigten sich vor allem in den Theaterstücken der Dramatiker Walter Hasenclever, Carl Sternheim und Ernst Toller. Hasenclevers Stück „Der Sohn“ gilt als die bedeutendste dramatische Arbeit dieser Literaturepoche und behandelt die ablehnende Haltung der jungen Künstler des Expressionismus gegenüber der bürgerlichen, pragmatisch-nüchternen Lebensauffassung der älteren Generation. Das Stück traf im Jahr 1914 den Nerv der Zeit und beschrieb die revolutionäre Haltung der jungen Generation gegenüber der 'alten Elite'. Carl Sternheims bürgerliches Lustspiel „Die Hose“ aus dem Jahr 1911 verspottete die Doppelmoral der Spießbürger und löste wegen seiner für die damalige Zeit ungewohnten Direktheit einen Skandal aus, der zu einem vorrübergehenden Auftrittsverbot führte. Wie „Die Hose“ gehörten auch die schonungslosen Komödien „Bürger Schippel“, „1913“, „Der Snob“ und „Das Fossil“ zu Sternheims Zyklus “Aus dem bürgerlichen Heldenleben“. Die politischen Dramen „Die Maschinenstürmer“, „Masse Mensch“ und „Die Wandlung“, die bedeutendsten Bühnenwerke des expressionistischen Dramatikers Ernst Toller, der sich aufgrund seiner traumatisierenden Erlebnisse als Unteroffizier im Ersten Weltkrieg der radikal expressionistischen Bühnenliteratur zuwandte, behandeln auf inhaltlich und sprachlich abstrakte Weise die sozialistischen Revolutionsbewegungen des Proletariats und deren Scheitern.
Auch die Stücke „Dickicht der Städte“ und „Baal“ von Bertolt Brecht sowie Georg Kaisers Bühnenwerk „Gas“ werden heute zu den wichtigen dramatischen Arbeiten des Expressionismus gezählt.
Die Prosaliteratur war innerhalb der expressionistischen Strömung zwar rudimentär vorhanden, beschränkte sich jedoch auf ein paar wenige Novellen von Franz Werfel, Kasimir Edschmid, Leonhard Frank, Max Brod und Fritz von Unruh, die sich thematisch vorrangig mit den Auswirkungen der Kriegsgeschehnisse auseinandersetzten.