Sturm und Drang | 1770 - 1785 | Literaturepoche

Der Sturm und Drang bezeichnet eine rebellisch-literarische Jugendbewegung zwischen 1770 und 1785, hauptsächlich bestimmt von Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller. Werke dieser Epoche sind oftmals von einer tragischen Darstellung scheiternder Helden gekennzeichnet, die gegen gesellschaftliche Konventionen aufbegehren.
Die jungen Schriftsteller des Sturm und Drang waren stark von den dramatischen Arbeiten William Shakespeares beeinflusst, der für sie den Inbegriff des literarischen Genies darstellte. Den Auftakt für diese Strömung gaben sowohl Lessings „Hamburgische Dramaturgie“, als auch der Dichter Heinrich Wilhelm von Gerstenberg mit seinem literarischen Beitrag zu den Stilelementen Shakespeares und der aristotelischen Poetik. Auch die kultur- und literaturtheoretischen Schriften Johann Gottfried Herders prägten die aufkommende literarische Rebellion des Sturm und Drang maßgeblich.
Der Name dieser Literaturperiode leitet sich von dem im Jahr 1776 veröffentlichten Lustspiel „Sturm und Drang“ von Friedrich Maximilian Klinger ab, das erstmals die charakteristische Sprache aufwies und einige inhaltliche Elemente der Shakespeare-Tragödien übernahm. Der Sturm und Drang konzentrierte sich auf die Literaturgattung des Dramas, wobei auch einige wichtige epische und lyrische Texte dieser Periode entstammen. Außerdem prägten die Dichter des Sturm und Drang erstmals den Begriff des bürgerlichen Trauerspiels und des bürgerlichen Romans. Bis dato diente Literatur noch ausschließlich der Unterhaltung der höfischen Gesellschaft.

Historischer Kontext
Die literarische Epoche des Sturm und Drang ist als ablehnende Reaktion auf die gesellschaftlichen Strukturen im Zeitalter des Absolutismus zu verstehen, der von einer Hegemonie des Adels gegenüber dem Bürgertum gekennzeichnet war. Der Adel sah die feudale Ständegesellschaft als eine von Gott beschlossene Ordnung, in die jeder Mensch hineingeboren wurde. Die mit dem Absolutismus einhergehende geistige, politische und philosophische Strömung der Aufklärung, die von einer Ideologie der Vernunft ausging, bot den jungen Schriftstellern des Sturm und Drang eine zusätzliche Angriffsfläche. Der Rationalität, die das zentrale Ziel der Aufklärung darstellte, stellten die Dichter das emotionale Ich als Hauptgegenstand ihrer neuen Literatur entgegen. Eine wachsende Konkurrenz am Kunst- und Literaturmarkt führte dazu, dass sich in der Epoche des Sturm und Drang ein regelrechter Geniekult und eine Verherrlichung des höheren Menschen und Künstlers entwickelte, weshalb diese Literaturperiode auch oft als „Geniezeit“ bezeichnet wird. Bestrebungen der Literaten, sich zu einem schöpferischen Genie zu entwickeln, brachten im Sturm und Drang einige herausragende und literaturhistorisch bedeutende Bühnenwerke hervor. Der durchschlagende Erfolg einiger dieser Werke machten die jungen Schriftsteller über Nacht bekannt.

Stilelemente und zentrale Themen des Sturm und Drang
Die „literarische Revolution“, wie Goethe selbst die Strömung des Sturm und Drang im Jahr 1773 nannte, war geprägt von einer jugendlichen Rebellion gegen die feudale Ständegesellschaft und deren Starrheit. Folglich bedienten sich die jungen Schriftsteller des Sturm und Drang einer neuen, kritischen und eigenwilligen Sprache. Durch die Wahl dynamischer Verben sowie ausdrucksstarker Substantive und Adjektive, konnten die Literaten Emotionalität und Empfindungen positiver und negativer Natur betonen. Eine für jede Figur individuell gewählte Sprache unterstrich die Unterschiede der einzelnen Dramatis Personae und deren Seelenleben. Durch die durchwegs jungen Autoren entstand im Sturm und Drang eine literarische Sprache, die von der Verwendung von halben oder unvollständigen Sätzen, volkstümlichen Redewendungen, vulgären Kraftausdrücken sowie einer jugendlichen Dynamik geprägt war. Diese Sprache stand in krassem Gegensatz zu den Gepflogenheiten und Gebräuchen der Adeligen, die sich ganz im Sinne der Aufklärung nach der Vernunftideologie verhielten. Dieser begegneten die jungen Dichter mit Werken, in denen Gefühlsüberschwang, Triebhaftigkeit, Fantasie, emotionaler Idealismus und ein inniges Verhältnis zur Natur dominierten. Die drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung wurden außer Kraft gesetzt und durch mehrere Handlungsstränge und Ortswechsel ersetzt.
Der vergebliche Freiheitskampf junger Helden wurde zum zentralen Thema der jungen Dichter. Sie griffen die sozialen Missstände, althergebrachten Auffassungen der Geschlechterrollen und die einengenden Klassenunterschiede auf und forderten in ihren Werken ein Recht auf Selbstbestimmung und Identitätsfindung, unabhängig vom gesellschaftlichen Status. Die Helden der großen Dramen des Sturm und Drang scheitern an den bestehenden Gesellschaftsstrukturen und unternehmen radikale und mitunter kriminelle Versuche, um gegen das Ständesystem aufzubegehren. Ihre Vorstöße scheitern jedoch kläglich am starren Regelsystem und sie können ihre wahre Identität nur durch ihren Tod, Selbstmord oder Mord schützen. Auch die leidenschaftliche klassenübergreifende Liebe, die zu einem wichtigen Motiv der Literatur des Sturm und Drang wurde, endet in der Regel in einer Katastrophe.

Werke und Vertreter des Sturm und Drang
Im Zentrum der bekanntesten Dramen des Sturm und Drang, Friedrich Schillers „Die Räuber“ und „Kabale und Liebe“ sowie Johann Wolfgang von Goethes „Götz von Berlichingen“ stehen jugendliche Naturgenies den einengenden familiären Verhältnissen, veraltete Moralvorstellungen und menschenverachtenden Klassenunterschiede gegenüber.
Den bürgerlichen Geschlechterkonflikt behandelt eines der bedeutendsten Werke des Sturm und Drang, das Drama „Die Soldaten“ des Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz, das später als inhaltliche Vorlage für Büchners „Woyzeck“ diente. Lenz, der einer der wichtigsten Vorbilder der Romantiker wurde, verfasste auch die Sturm-und-Drang-Stücke „Der neue Menoza“ und „Der Hofmeister“. Neben Schiller, Goethe und Lenz wurde auch das Bühnenwerk „Die Zwillinge“ von Friedrich Maximilian Klinger zu einem der wichtigsten Beispiele dieser Epoche und behandelt den seelischen Konflikt eines orientierungslosen jungen Mannes, der im Kampf um das Erbe seinen adeligen Brüder ermordet und von seinem Vater daraufhin zum Tode verurteilt wird. Nahezu alle Dramen des Sturm und Drang enden in der Erkenntnis der Helden, dass der Mensch die so sehnlich begehrte Freiheit nur im Tod erfahren kann.
Als das einzige bedeutende epische Werk des Sturm und Drang gilt Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ aus dem Jahr 1774, das wie das bürgerliche Drama dieser Zeit die tragische Geschichte eines jungen Mannes auf der Suche nach seiner Identität behandelt. Das als Briefroman angelegte Werk erlaubte Goethe den Gebrauch einer unkonventionellen und gefühlsbetonten Sprache, die die bedrohliche seelische Situation des jungen Helden unvermittelt ausdrückt. „Die Leiden des jungen Werther“ gilt als der erste bürgerliche Roman, der nicht der Unterhaltung der gehobenen Gesellschaftsschichten diente, sondern die jungen Intellektuellen des Bürgertums erreichen sollte. Der durchschlagende Erfolg des Romans löste nach seinem Erscheinen eine Welle an Selbstmorden aus, weshalb es sogar zu einem zeitweiligen Publikationsverbot kam.
Die sogenannte „Empfindungslyrik“ des Sturm und Drang beschränkte sich auf einige Gedichte und Balladen, die vorrangig das Gefühlsleben des lyrischen Ichs zum Ausdruck bringen. Gedichte wie Goethes „Willkommen und Abschied“, „Ganymed“ und „Prometheus“ oder Gottfried August Bürgers „Der Bauer an seinen durchlauchten Tyrannen“ zeichnen wie die Dramen des Sturm und Drang die tragischen Erlebnisse von Menschen nach, die dem Stand, in den sie hineingeboren wurden, nicht entkommen können. Galten die freien Rhythmen der Verse und die Schilderung persönlicher Erlebnisse und Gedanken des lyrischen Ichs zur Zeit des Sturm und Drang als revolutionäre literarische Neuerungen, werden sie heute als typisch-stilistisches Merkmal eines Gedichts wahrgenommen.