Humanismus | 1470 - 1600 | Literaturepoche

Der Humanismus beschreibt eine Geisteshaltung und Literaturströmung innerhalb der Renaissance, die sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Italien entwickelte und sich bald in allen westeuropäischen Ländern verbreitete. Der Begriff Humanismus leitet sich von humanitas, dem lateinischen Wort für Geistesbildung, Zivilisation und Menschlichkeit ab und bezeichnet das Bestreben der Wissenschaftler der Renaissance, an die antike Geisteshaltung und Philosophie anzuknüpfen. In den Augen der gelehrten Humanisten hatten die Römer und Griechen in ihrer Kultur und ihrem Geistesleben die vollkommene Veredelung der Menschen durch Wissen und Bildung vollzogen. Um der dunklen Zeit des Mittelalters zu entkommen und eine neue, der Religion und Politik gegenüber kritischeren Ideologie ins Leben zu rufen, wurden die lateinischen Texte der Antike studiert und übersetzt. Während in der Anfangsphase des Humanismus das italienische Gedankengut im Zentrum des literarischen Schaffens stand, setzte sich auf deutschem Boden allmählich auch eine eigenständige Strömung innerhalb des europäischen Humanismus durch.

Historischer Kontext des Humanismus
Konstantinopel wurde im Jahr 1453 von den Türken erobert, was dazu führte, dass ein beträchtlicher Teil der byzantinischen Bevölkerung in andere Teile Europas flüchtete. Das intensive Studium der antiken Kunst und Literatur durch die Gelehrten der Renaissance wurde von den intellektuellen Flüchtlingen angeregt, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts von Griechenland und dem Byzantinischen Reich aus nach Italien gelangten. Während sich die bildende Kunst der Renaissance an den römischen Vorbildern orientierte, griffen die humanistischen Schriftsteller und Gelehrten auf die lateinischen Texte der antiken Historiker, Philosophen und Dichter zurück. In Italien entwickelte sich eine humanistische Literatur durch die einflussreichen Schriftsteller Giovanni Boccaccio und Dante Alghieri. Naturwissenschaftler wie der Italiener Galileo Galilei gewannen durch ihre humanistisch geprägte Forschung neue Erkenntnisse über die Astronomie, die das bis dahin existierende Weltbild der Menschen in Frage stellte. Seefahrer wie Christoph Columbus und Amerigo Vespucci entdeckten die „Neue Welt“ und beschrieben ihre geographischen Erkenntnisse in ausführlichen Reiseberichten. In Deutschland veröffentlichte Nikolaus Kopernikus im Jahr 1543 sein Hauptwerk „De revolutionibus orbium coelestium“, in dem er die Annahme, die Sonne drehe sich um die Erde, verwarf und sein heliozentrisches Weltbild verkündete. Der humanistische Philosoph und Mediziner Paracelsus begann der Ursache von Krankheiten auf den Grund zu gehen und erzielte für die damalige Zeit außerordentliche Heilungserfolge. Da Latein die Gebrauchssprache der Humanisten blieb, waren die schriftstellerischen Werke nur einer kleinen Schicht von gebildeten Adeligen und Klerikern vorbehalten. Bald begannen die Gelehrten jedoch, die antiken Werke der Literatur zu übersetzen und in deutscher Sprache zu veröffentlichen. Die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg um 1455 trug wesentlich zur schnellen Verbreitung der Übersetzungen bei.

Literaturgattungen des deutschen Humanismus
Während die überwiegende Literatur der Renaissance der Unterhaltung des städtischen Bürgertums diente und in Schwänken, Fastnachtspielen und Volksbüchern deren Leben in vulgärer Darstellungsweise karikierte, blieb die Strömung des literarischen Humanismus weitgehend einer kleinen Anzahl von Gelehrten vorbehalten. Die lateinische und von Eleganz gekennzeichnete Sprache, in der die weitgehend wissenschaftlichen Werke verfasst wurden, fanden ihre Verbreitung unter den gebildeten Menschen, die an den Universitäten unterrichteten oder in den Klöstern ihr Leben dem Erwerb von Wissen widmeten. Dennoch wurde auch die lateinische Satire zu einer bevorzugten erzählerischen Gattung der Humanisten, die die Laster und Dummheiten der Menschen in feiner Sprache offenlegte. Satiren wurden oft in die deutsche Sprache übersetzt und fanden innerhalb der weltlichen Humanistenkreise ein großes Publikum. Solche Werke wurden als Lehrreden konzipiert und bedienten sich oft der Personifikation menschlicher Eigenschaften, die mit Ironie die Sündhaftigkeit der Bürger und Gelehrten gleichermaßen aufs Korn nahmen und ein treffendes Abbild der Zeit schufen. Unterschiedliche Zitate aus Dichtungen und wissenschaftlichen Abhandlungen wurden auf verfälschende Weise interpretiert und ergaben dadurch eine von Witz geprägte Mischung an Wörtern, die ausdrückte, dass der Mensch ohne seine Sünden nicht existieren könne. Die moralische Lehre des Humanismus wollten die Schriftsteller jedoch nicht nur in Abhandlungen und satirischen Predigten, sondern auch in lyrischen Werken vermitteln. Viele Autoren verfassten daher auch Gedichte, die in Form und Sprache den Werken von antiken Poeten wie Horaz oder Ovid ähnlich waren.

Vertreter und Werke des deutschen Humanismus
Der Wandergelehrte und Humanist Peter Luder brachte das italienische Gedankengut von seinen Reisen mit nach Deutschland und war maßgeblich für die Verbreitung der neuen Strömung verantwortlich. Er lehrte an verschiedenen Universitäten in Deutschland und hielt in Heidelberg im Jahr 1456 die Rede „studia humanitas“, die den Beginn des deutschen Humanismus markierte.
Der bedeutendste Schriftsteller dieser Strömung war der niederländische Theologe Erasmus von Rotterdam, der im Laufe seines Lebens geschätzte 150 Werke ausschließlich in griechischer und lateinischer Sprache verfasste. Er sah sich selbst als Vermittler und Verbreiter von Wissen und Bildung und machte sich die Technik des Buchdrucks zunutze, um möglichst viele Menschen mit seinen literarischen Abhandlungen zu erreichen. Wegen seiner feinen und ausformulierten Sprache war Erasmus von Rotterdam in den Humanistenkreisen vieler Länder Europas hochgeschätzt. Der Gelehrte veröffentlichte über 2000 Briefe, war Herausgeber zahlreicher Schriften, Literaturkritiker und Begründer der neuzeitlichen Philologie. Seine lateinische Satire „Lob der Torheit“ aus dem Jahr 1509 wurde schon kurze Zeit nach ihrer Veröffentlichung in viele Sprachen übersetzt und stellt die Laster und Dummheiten der Menschen auf vorurteilsfreie Weise bloß. In dem Werk tritt die personifizierte Torheit, Königin der Welt und Mutter der Todsünden als Rednerin auf und verkündet auf ironische Weise das Laster als die Illusion, die das Dasein der Menschen erst erträglich macht. Im Jahr 1516 veröffentlichte Erasmus von Rotterdam sein in griechischer Sprache verfasstes Neues Testament, das später Martin Luther als Grundlage für seine Lutherbibel nutzte.
Der Philologe und Diplomat Johannes Reuchlin wurde der erste humanistische Schriftsteller, der auch Werke aus dem Hebräischen übersetzte und im Jahr 1506 eine erste Grammatik dieser Sprache herausbrachte. Seine neulateinische dramatisierte Satire „Henno“ wurden später von Hans Sachs aufgegriffen und zu einem populären deutschsprachigen Schwank umgearbeitet.
Der Theologe und Dichter Conrad Celtis war einer der leidenschaftlichsten Verfechter des humanistischen Gedankenguts und machte sich sowohl durch sein Hauptwerk „Quatuor libri Amorum“, seine Sammlung lateinischer Gedichte im Stil Ovids einen wichtigen Namen, als auch als Herausgeber der Werke Senecas und Tacitus, als Autor verschiedener Epigramme und durch seine Poetik „Ars versificandi et carminum“. Der humanistische Jurist Sebastian Brant schuf neben zahlreichen Übersetzungen lateinischer Gedichte mit seiner unterhaltsamen Moralsatire „Das Narrenschiff“ eine didaktische Abhandlung über die Fehltritte seiner Zeitgenossen.